Streuobst

Ökologischer Wert von Streuobstwiesen

Das große Gewimmel

Seitdem der Erhalt der letzten noch verbliebenen Streuobstbestände in den 1970er Jahren in den Fokus des Naturschutzes gerückt ist, überbieten sich Naturschutzverbände und Förderer der Streuobstkultur geradezu in ihren Zahlen zur Artenvielfalt auf Obstwiesen. Über 2.000, 3.000, ja sogar 5.000 Arten finden je nach Quelle ihre Heimat in den naturnahen Baumgärten. Ganz falsch sind solche Darstellungen sicher nicht, auch wenn es bis dato keine wissenschaftliche Erhebung zu geben scheint, die alle Artengruppen auf Streuobstwiesen vollständig erfasst hätte. 

Ein Großes Ochsenauge (Maniola jurtina) saugt Nektar an einer Wiesen-Flockenblume (Centaurea jacea). Wenn Streuobstwiesen eine artenreiche Krautschicht besitzen, finden Insekten auch nach der Obstblüte noch genug Nahrung. Bild: Birgit Röttering

Aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig. Denn wer einmal auf einer blühenden Streuobstwiese unterwegs ist, wird den Beweis ihrer ökologischen Bedeutung bald mit allen Sinnen erfassen.  Sobald im Frühjahr die prallen Knospen der Obstbäume aufbrechen, ist die Luft erfüllt von einem stetigen Summen und Brummen. Unzählige Bestäuberinsekten schwirren dann emsig durch ein weißes Blütenmeer. Hummelköniginnen, Frühlingsschwebfliegen, erste Tagfalter und ein unüberschaubare Menge weiterer Insekten teilen sich diesen Lebensraum, in dem Nektar und Pollen im Überfluss vorhanden sind. Und auch die Honigbiene leistet ihren Beitrag zur erfolgreichen Bestäubung der Blütenpracht. Gerade im Zusammenspiel zwischen dem Nutztier Honigbiene und der Vielfalt an wilden Bestäubern entwickeln sich später im Jahr qualitativ besonders hochwertige und wohlgeformte Früchte.

 

Mehr lesen

Im Frühjahr kehren auch viele andere Bewohner auf die Obstwiesen zurück. Zugvögel wie der Gartenrotschwanz beginnen mit ihrem Brutgeschäft, sobald die alte Baumhöhle wieder hergerichtet ist. Andere Vögel wie Grünspecht und Steinkauz sind den Winter über gar nicht fort gewesen. Beide Arten beginnen ihre Balz bereits im Spätwinter und setzen sie bis in den Frühling fort. Wenn die Partnersuche erfolgreich war, findet ab April die Eiablage statt – bevorzugt in den Höhlen alter Obstbäume. Bei Untersuchungen zur Avifauna von Obstkulturen wurde festgestellt, dass Streuobstwiesen im Schnitt dreizehnmal häufiger von Vogelarten angeflogen werden als moderne Niederstammplantagen.

Die hohe Attraktivität von Streuobstwiesen erklärt sich durch die große Vielfalt an Biotopstrukturen, die – wie im Falle der Baumhöhlen – nicht nur geeignete Habitate bereitstellen, sondern auch ein wahres Schlaraffenland an Nahrungsquellen bieten. Da ist für jeden das Passende dabei: Insekten und andere Kleintiere, Kräuter, Gräser, Sämereien und Beeren, und natürlich das Fallobst im Herbst und Winter.

Auch der Siebenschläfer (Glis glis) ist auf Streuobstwiesen zu Hause. Manchmal auch als „Hausbesetzer“. Beim NABU Leverkusen besitzt er sogar eine eigene Live-Cam. Bild: NABU/ Willi Mayer

Wenn im Frühsommer die Zeit der Obstblüte zu Ende geht, öffnen sich in der Krautschicht unter den Bäumen die ersten Wiesenblumen und bald ist das Grasland rund um die Bäume von unzähligen bunten Tupfern gesprenkelt. Nun beginnt die Zeit einer spektakulären Insektenvielfalt: Käfer in den schillerndsten Farben krabbeln über die Doldenblüten von Wiesen-Kerbel und Wiesen-Bärenklau, und Wildbienen summen in allen nur erdenklichen Frisuren von Blüte zu Blüte. Ihr Treiben wird von merkwürdigen kleinen Fliegen genau beobachtet. Wie rastlose Wollknäule bleiben die herrlich wuscheligen Wollschweber immer in Bewegung und schweben wie kleine Hubschrauber über den Dingen. Sobald sie ein Wildbienennest ausgemacht haben, schießen sie in einem unbeobachteten Moment aus dem Flug ihre Eier in das Loch.

Unzählige weitere Geschichten könnten hier erzählt werden. Über wuselige Ohrenkneifer, elegante Florfliegen, musizierende Heuschrecken, oder die majestätische blauschwarze Holzbiene, die ihre Brutröhren mit Vorliebe in das Holz morscher Obstbaumstämme gräbt. Von ganz unten bis ganz oben: Streuobstwiesen bieten ökologische Nischen auf allen Etagen. So werden sich manche Ameisen- und Baumwanzenarten wohl ihr ganzes kurzes Leben lang nicht über den Weg laufen – auch wenn sie das gleiche Ökosystem bewohnen.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner